Frankreich, MJC Elbeuf
Meine gesamte Schulzeit war mein Plan für meinen späteren Werdegang relativ klar: ichwollte direkt nach dem Abi studieren, sowohl das Studienfach als auch der Standort waren schon früh entschieden. Kurz vor den Abiturprüfungen kam dann jedoch der Gedanke auf, dass ein Freiwilligenjahr im Ausland vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Als ich dann vom europäischen Solidaritätskorps hörte, ging alles relativ schnell, und letztendlich habe ich mich dann für ein Projekt in der Normandie entschieden – eine Entscheidung, die ich bisher keine Sekunde bereut habe.
Als ich Mitte September dann in Frankreich ankam, schien bis auf die üblichen, kleineren Startschwierigkeiten alles direkt zu funktionieren. In unserer fünfsprachigen WG mit Mitbewohnern aus Serbien, Bulgarien, Italien und Spanien verstanden wir uns sofort sehr gut, was sich unter anderem durch einen bis heute anhaltenden kulinarischen Austausch zeigte (ich trage regelmäßig Kässpätzle dazu bei). Auch im Projekt, in dem meine Hauptaufgabe das Vorbereiten und Durchführen von wissenschaftlichen Workshops mit Kindern ist, fand ich sehr schnell meinen Platz, was sicherlich auch der Faszination geschuldet ist, die ich selbst für diese Dinge mitbringe (und mal ehrlich: Wer wäre nicht von Workshops wie selbstgebauten Raketen oder selbstgebauten Fotoapparaten begeistert? 😉) Ich bekam daher das Gefühl, innerhalb von sehr kurzer Zeit komplett angekommen zu sein – und auch wenn dieses Gefühl sicher berechtigt war, so war es doch nicht komplett richtig.
Auch heute bin ich sicher noch nicht am Ende, denn das „Ankommen“ ist meiner Ansicht nach ein dynamischer Prozess, der nie wirklich aufhört und auch nie aufhören sollte – denn dabei kann man am meisten lernen. Trotzdem kann ich sagen, dass ich mich mit jedem Tag wohler fühle. Das ist sicher auch damit verbunden, dass wir mittlerweile zu einer echten Gemeinschaft zusammengewachsen sind und ich im Projekt die Freiheit habe, eigene Ideen umzusetzen. Dies hat schließlich dazu geführt, dass ich mittlerweile neben den wissenschaftlichen Workshops auch beim Programmieren von auf Arduino basierten Robotern helfe und an vielen kulturellen Aktivitäten direkt beteiligt bin. Zudem habe ich mit meinen WG-Kollegen ein Projekt angestoßen, bei dem wir jede Woche lokale Schulen besuchen, um dort Englischkurse anzubieten. Außerdem plane ich derzeit ein Survivalcamp für Jugendliche, auch wenn aufgrund der aktuellen Situation rund um das Coronavirus nicht ganz sicher ist, ob sich das Ganze realisieren lassen wird.
Doch nicht nur das Projekt, sondern ebenfalls die Freizeitgestaltung ist mittlerweile einfacher, was vor allem auf neu geknüpfte Kontakte zurückzuführen ist und schon zu einigen Hauspartys geführt hat… und auch wenn das sicher nicht auf jeden Menschen zutrifft, benötigen viele – so wie ich – Zeit, in der man einfach mal abschalten kann. Da ich diese Zeit in meinem bisherigen Leben immer im Sportverein und in einer Band verbracht habe und ich momentan weder Mitglied in einem Verein noch in einer Band bin, musste ich mir einen anderen Ausgleich suchen, was natürlich auch seine Zeit gedauert hat… Mittlerweile habe ich mit dem Klavier und regelmäßigem Joggen jedoch etwas gefunden, das mir ebenfalls den benötigten Ausgleich liefert.
Allgemein bin ich nach wie vor unglaublich zufrieden mit der Entscheidung, den Freiwilligendienst hier zu absolvieren. Auch wenn sich an der Wahl meines Studiums nichts geändert hat und das Jahr daher nicht zur Orientierung dient, durchlebe ich hier Situationen, die mich auf persönlicher Ebene sehr stark prägen und weiterbringen. Gerade das Aufeinandertreffen von verschiedenen Kulturen ist äußerst bereichernd, weshalb eine multikulturelle WG auch mein Geheimtipp für all diejenigen ist, die sich für ein ESK interessieren (ein weiterer Vorteil an einer solchen WG ist, dass man nach dem ESK gratis bei seinen ehemaligen WG-Kollegen im Ausland Urlaub machen kann – ein baldiger Urlaub in Serbien ist beispielsweise schon geplant). Ich möchte an dieser Stelle auch noch einige andere Tipps loswerden, die allerdings nur meine persönliche Auffassung sind und daher auch nicht als allgemeingültig verstanden werden sollten.
Häufig hört man ja, ein solches Jahr diene nur der beruflichen Orientierung... aber das ist kompletter Schwachsinn, es lohnt sich für jeden, auch für die, die – wie ich – schon ganz genau wissen, wie es später weitergehen soll.
Außerdem: wählt das Projekt aus, nicht das Land! Mein Traum war es anfangs, in ein skandinavisches Land zu gehen, Frankreich kam – auch wenn ich das Land und seine Kultur sehr schätze – nicht an erster Stelle. Trotzdem hat mir das Projekt in Frankreich mehr zugesagt als die Projekte in Skandinavien, und rückblickend habe ich mit meiner Entscheidung alles richtig gemacht.
Ein weiterer Tipp ist, dem Projekt Zeit zu geben. Auch wenn es bei mir von Anfang an gut lief, kenne ich viele Leute, die anfangs Schwierigkeiten hatten, wie auch die erste Spanierin in unserer WG. Sie hat dann entschieden, das Projekt zu verlassen und bereut die Entscheidung mittlerweile sehr, da sich alles sehr gut entwickelt hat. Aber wie bei allem gilt natürlich auch: Gut‘ Ding will Weile haben – gebt dem Ganzen also die Zeit, sich zu entwickeln, und lasst euch nicht von Rückschlägen, die es mit Sicherheit geben wird, aus der Bahn werfen!
Aber vor allem: wagt diesen Schritt, nutzt dieses Angebot, seid unvoreingenommen und lasst euch voll darauf ein. Dann bietet euch das ESK eine Chance, die ihr in dieser Form vermutlich nur selten bekommt!
Matthias
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